Ein Mitbürger zu sein ist ein Akt von Bürgers Gnaden. Wenn ich Mitbürger bin, braucht es stets einen anderen, der mich in die Runde einlässt: den Bürger. Bürger zu sein, das ist Geburtsrecht, das ist Teilnahme qua Existenz, und selbst wenn ich mich unbürgerlich oder gar kriminell verhalte, wenn ich auf die Verfassung scheiße und auf alle Grundrechte noch dazu, bleibe ich: Bürger. Anders der Mitbürger. Seine Teilhabe am Ganzen muss extra betont werden, offenbar hat er was, was ihn eben nicht selbstverständlich als Bürger auszeichnet. Der Mitbürger bleibt auf das Plazet des Bürgers angewiesen, teilhaben zu dürfen.
November 2019: „Unsere jüdischen Mitbürger“, heißt es derzeit immer wieder, und es ist wohlmeinend gesagt und zementiert die Distanz doch umso mehr, da hilft auch das joviale „uns“ kaum, es verschiebt die Distanz vielleicht ein bisschen in Richtung Umarmung, aber es bleibt der Bürger, der vorgibt, wer hier wen umarmt und den Ton angibt.
Worte schaffen Wahrheit. Unsere jüdischen Mitbürger sind bitte das: die jüdischen Bürger Deutschlands.
Foto: Förderkreis für die ermordeten Juden Europas e.V.